Urlaub – Verfall und Verjährung von Urlaubsansprüchen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Rechte von Arbeitnehmenden in einer Entscheidung zur Verjährung von Urlaubsansprüchen vom 22. September 2022 weiter gestärkt. So können Urlaubsansprüche nur verjähren, „wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen“ und der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist.

EuGH, Urt. v. 22.09.2022, C‑120/21

Die Frage der Übertragung von Urlaubsansprüchen in das Folgejahr oder deren Verfall ist nach wie vor häufig Gegenstand von arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten, bei denen nicht selten eine erhebliche Anzahl von Urlaubstagen im Raum steht. Maßgeblich ist die Regelung des § 7 Abs. 3 BUrlG, nach welcher der Urlaub grundsätzlich im laufenden Jahr gewährt und genommen werden muss und eine Übertragung auf das nächste Jahr nur ausnahmsweise bei Vorliegen dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe möglich ist. Liegt keiner dieser Ausnahmefälle vor, verfällt der im Urlaubsjahr nicht genommene Urlaub grundsätzlich am Ende des jeweiligen Kalenderjahres. Bereits mit Urteil vom 6. November 2018 (C-684/16) erteilte der EuGH diesem automatischen Verfall von Urlaubsansprüchen im deutschen Urlaubsrecht eine Absage. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) setzte mit Urteil vom 19. Februar 2019 (9 AZR 423/16) die Entscheidung des EuGH um, legte § 7 BUrlG richtlinienkonform aus und entschied – verkürzt -, dass eine Befristung des Urlaubsanspruchs auf das Urlaubsjahr nach § 7 Abs. 3 BUrlG grundsätzlich voraussetzt, dass der Arbeitgeber an der Verwirklichung des Urlaubsanspruches mitgewirkt hat. Dieser Mitwirkungsobliegenheit wird grundsätzlich dann nachgekommen, wenn Arbeitgeber idealerweise zu Beginn eines jeden Kalenderjahres ihre Arbeitnehmenden individuell in Textform

  • darüber informieren, wie viele Urlaubstage ihnen samt möglichem Resturlaub aus den Vorjahren zustehen,
  • auffordern, den gesamten Urlaub innerhalb des laufenden Jahres zu nehmen und rechtzeitig zu beantragen und
  • auf den möglichen Verfall des Urlaubsanspruches bei Nichtinanspruchnahme innerhalb des benannten Zeitraums hinweisen.


Erfüllt ein Unternehmen diese Mitwirkungsobliegenheiten nicht, kommt es nicht zum Verfall der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmenden – und zwar unabhängig davon, wie lange der Urlaubsanspruch bereits besteht. Kam es in einem solchen Fall nicht zu einem Urlaubsverfall konnten sich Arbeitgeber zumindest auf eine mögliche Verjährung eines Teils der Urlaubsansprüche berufen. Nun hat der EuGH jedoch nachgelegt und auch über die bis dato streitige Frage der möglichen Verjährung von Urlaubsansprüchen nach drei Jahren zum Jahresende (§§ 195,199 BGB) entschieden und festgestellt, dass die Grundsätze zum Verfall von Urlaubsansprüchen auch für die Verjährung heranzuziehen sind und es ebenfalls der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bedarf, um die Verjährungsfrist in Gang zu setzen.

Die Entscheidung des EuGH

Das BAG rief den EuGH zur Vorabentscheidung mit der Frage an, ob es mit Europarecht vereinbar sei, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers schon nicht verfallen kann, der regelmäßigen Verjährung nach nationalen Vorschriften unterliegt. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine Angestellte, welche von 1996 bis Juli 2017 im Unternehmen angestellt war, verlangte von ihrem ehemaligen Arbeitgeber die Abgeltung von Urlaubsansprüchen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren. Sie konnte den ihr zustehenden Urlaub nach eigener Aussage aufgrund ihres großen Arbeitsvolumens nicht vollständig nehmen. Der Arbeitgeber hatte sie weder aufgefordert, Urlaub zu nehmen, noch auf den Verfall von nicht beantragtem Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums hingewiesen. Der Urlaub konnte daher nach der Rechtsprechung des BAG nicht verfallen. Der Arbeitgeber war jedoch der Meinung, dass die Urlaubsansprüche aufgrund der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren zumindest zum Teil bereits verjährt waren. Die Frist sei bereits vor Ende des Arbeitsverhältnisses abgelaufen.

Der EuGH entschied, dass es nicht nur beim Verfall, sondern auch bei der Verjährung von Urlaubsansprüchen der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bedarf. Falls der Arbeitgeber also die Mitwirkung – wie im vorliegenden Fall – versäumt habe und den Arbeitnehmer nicht auf seinen Urlaubsanspruch und den möglichen Verfall bei Nichtinanspruchnahme hingewiesen hat, dürfe dem Anspruch auf bezahlten Urlaub demnach auch nicht mit der Einrede der Verjährung begegnet werden. Zum einen könne sich der Arbeitgeber nämlich in einem solchen Fall seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten entziehen und nach drei aufeinanderfolgenden Jahren ohne entsprechenden Hinweis die Verjährung geltend machen. Zum anderen komme es dem Arbeitgeber unberechtigterweise zugute, wenn der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub verjährt ist. Der Arbeitgeber würde sich so unrechtmäßig bereichern.

Zwar habe der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran, nicht mit Urlaubsanträgen oder deren finanzieller Vergütung konfrontiert zu werden, die auf mehr als drei Jahre zurückliegende Urlaubsansprüche gestützt werden. Dieses Interesse sei indes dann nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber sich durch nicht erfolgte Hinweise selbst in eine solche Situation gebracht hat. Da der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsvertrages sei, sollte die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs zu sorgen, nicht vollständig auf diesen verlagert werden. Andernfalls könne sich der Arbeitgeber seiner eigenen Pflichten unter Berufung auf einen fehlenden Antrag des Arbeitnehmers auf bezahlten Urlaub entziehen.

fellaws Hinweis

Dieser weitgehende Arbeitnehmerschutz ist fragwürdig, da dadurch der Schutz des Rechtsfriedens unterlaufen wird und keine Rechtssicherheit eintreten kann. Arbeitgeber können sich zukünftig nicht ohne Weiteres auf die den Rechtsfrieden schützende Verjährung von Urlaubsansprüchen berufen, ohne vorher aktiv geworden zu sein. Der EuGH hat mit diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung zugunsten der Arbeitnehmenden weiter gestärkt. Er betont seit jeher, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub als „wesentlicher Grundsatz des Sozialrechts der Union zwingenden Charakter“ (EuGH, Urt. v. 06.11.2018, Az. C-684/16) genießt.

Vor diesem Hintergrund ist Arbeitgebern zu empfehlen, besondere Sorgfalt auf die Erfüllung ihrer Mitwirkungsobliegenheit zu legen und ihre Mitarbeitenden in Textform zu Beginn eines jeden Jahres über ihren individuellen, aktuell bestehenden Urlaubsanspruch (inklusive Resturlaub des Vorjahres) zu informieren, sie aufzufordern, diesen noch im laufenden Jahr zu nehmen und auf den möglichen Verfall bei Nichtinanspruchnahme zu verweisen. Nur durch diese Mitwirkung ist sichergestellt, dass Urlaubsansprüche überhaupt verfallen bzw. verjähren können. Sollte ein solcher Hinweis in diesem Jahr noch nicht erfolgt sein, raten wir, dies möglichst zeitnah auch für dieses Jahr noch nachzuholen.


Alina Jung
Rechtswältin








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