Urlaubsspezial: Ein Überblick über Basics und Neuerungen im Urlaubsrecht

Das Urlaubsrecht ist ohne Frage komplex und wird durch Rechtsprechung und Lehre im Wandel der Zeit stets konkretisiert. Eine rechtskonforme Behandlung des Urlaubsanspruchs ist, wie der Beitrag zeigt, ohne vertiefte Kenntnisse der jeweils aktuellen Rechtsprechung kaum noch möglich. Insbesondere auch in diesem und im letzten Jahr haben sich durch Grundsatzentscheidungen der obersten Gerichte immer wieder erhebliche Neuerungen für das Urlaubsrecht ergeben. Was Arbeitgeber bei der Umsetzung der Rechtsprechung beachten müssen und wo ggf. teure Arbeitgeberfallen lauern, dafür soll der folgende Artikel sensibilisieren. Bitte beachten Sie aber, dass der Beitrag eine anwaltliche Beratung im konkreten Einzelfall nicht ersetzen kann. Gerne unterstützen wir Sie daher bei der Handhabung der vielfältigen Anforderungen:


Allgemeines/Basics zum Urlaub

Grundsätzlich beträgt der Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz (BurlG) 24 Arbeitstage bei einer 6-Tage-Woche. Bei einer 5-Tage-Woche führt dies zu 20 Arbeitstagen pro Kalenderjahr. Schwerbehinderte Mitarbeiter haben einen gesetzlichen Zusatzurlaub von 5 Arbeitstagen pro Jahr. Weitere Urlaubstage über diese gesetzlichen Mindestansprüche können sich aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag ergeben.

Auch während der Elternzeit und während des Mutterschutzes entsteht der gesetzliche Mindesturlaub. In der Elternzeit kann der Anspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich durch Erklärung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmenden für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel gekürzt werden (vgl. unseren Blogbeitrag „Ausschlussfristen, Urlaub, Elternzeit“ vom 24. November 2022). Im Mutterschutz ist eine Urlaubskürzung hingegen nicht möglich. Bei durchgehend unbezahlten Sonderurlaub (z.B. unbezahltes Sabbatical) entsteht der gesetzliche (bezahlte) Mindesturlaubsanspruch anders als bei bezahlter Freistellung nicht (BAG vom 9. März 2019, Az. 9 AZR 315/17 unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung).


Geld statt Urlaub

Im laufenden Arbeitsverhältnis ist der Urlaub in natura zu nehmen und zu gewähren. Eine Urlaubs-abgeltung ist hier nicht möglich, weil dadurch der Urlaubsanspruch nicht erlischt. Urlaubsabgeltung in Geld kann der Arbeitnehmende ausnahmsweise dann verlangen, wenn er den Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht nehmen kann (vgl. § 7 Abs. 4 BUrlG). Seit 2012 geht das BAG davon aus, dass der Urlaubsanspruch ein reiner Geldanspruch ist. Das heißt, der Abgeltungsanspruch entsteht erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird auch erst dann fällig. Arbeitnehmende können über die Urlaubsabgeltung in einem – gerichtlichen oder außergerichtlichen – Vergleich verfügen. Voraussetzung: Die Vereinbarung muss nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Im laufenden Arbeits-verhältnis ist dies abweichend zu beurteilen: Der Arbeitnehmende kann zu diesem Zeitpunkt nicht auf einen Abgeltungsanspruch verzichten, der erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht. Dies verstößt gegen das Bundesurlaubsgesetz. Nach Beendigung wird der Abgeltungsanspruch auch von arbeits- und tarifvertraglichen Ausschlussfristen umfasst.


Urlaub mit Verfallsdatum

Ein Arbeitnehmer muss seinen Urlaub grundsätzlich während des laufenden Kalenderjahres nehmen. Nur aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmenden liegenden Gründen, wie z.B. Krankheit, kann der Urlaub auf das Folgejahr übertragen werden (§ 7 Abs. 3 BUrlG). Wenn vertraglich kein abweichender Übertragungszeitraum geregelt ist, muss der Arbeitnehmende seinen Urlaub in diesen Fällen bis zum 31. März des Folgejahres genommen haben, sonst verfällt er. Eigentlich! Diesen Grundsatz haben der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesarbeitsgericht (BAG) mittlerweile in vielerlei Hinsicht aufgeweicht.


Keine Regel ohne Ausnahme

Zunächst gilt dies nicht bei Langzeiterkrankung des Arbeitnehmenden. Erstmalig im Jahre 2009 hat der EuGH entschieden, dass der Urlaub über dem Übertragungszeitraum hinaus gegen Verfall geschützt ist, wenn der Arbeitnehmende ihn bis dahin wegen Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen kann (EuGH, Urteil in der Rechtssache „Schultz-Hoff“, C-350/06). Drei Jahre später grenzten EuGH und BAG (vgl. BAG vom 7. August 2012, Az. 9 AZR 353/10) ein, dass der gesetzliche Mindesturlaub im Falle der Langzeiterkrankung (grundsätzlich) 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt. Eine unbegrenzte Ansammlung von Urlaubsansprüchen war danach nicht mehr möglich. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer eine Erwerbsminderungsrente bezog. Diese Rechtsprechung bezieht sich nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Sofern es für tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Mehrurlaub jedoch keine abweichenden Regelungen gibt, verfällt dieser analog dem gesetzlichen Mindesturlaub. Abweichende Regeln zum Verfall für den Mehrurlaub sind daher grundsätzlich möglich und zwingend anzuraten.


Was ist neu? Was gilt es zu beachten? Was ist, wenn die Ausnahme faktisch scheinbar plötzlich zur Regel wird?

Seit dem Urteil des EuGH vom 22. September 2022, C-120/21 (vgl. unseren Blogbeitrag „Urlaub – Verfall und Verjährung von Urlaubsansprüchen“ vom 22. September 2022) bzw. spätestens seit der Entscheidung des BAG vom 20.Dezember 2022, Az. 9 AZR 266/20 ist klar: Die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmenden verfallen und verjähren nur noch dann, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmenden auf die bestehenden Ansprüche und den drohenden Verfall hingewiesen hat und ihnen die Möglichkeit gibt, den Urlaub auch wirklich zu nehmen. Auch ist klargestellt, dass Urlaubsansprüche von langzeiterkrankten Arbeitnehmern spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfallen – und zwar auch ohne Hinweis.


Der Teufel liegt aber leider, wie immer, im Detail, oder „was in der Theorie so einfach klingt, ist in der Praxis leider meist immer etwas komplizierter“!

Wie sieht es zum Beispiel aus, wenn der Arbeitnehmende im Januar eines Jahres – noch bevor der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nachgekommen ist – noch kurz arbeitet und erst dann dauerhaft erkrankt? Wie berechnet der Arbeitgeber dann den Urlaub und wann verfällt der Urlaub in diesem Fall? Was muss der Arbeitgeber dann in seinem Hinweisschreiben beachten? Diese Frage beantwortet das BAG in seinem am 8. Mai 2023 veröffentlichten Urteil zu „Mindesturlaub – 15 Monatsfrist – Mitwirkungsobliegenheiten“ vom 31. Januar 2023 (9 AZR 107/20).


Worum ging es?

Ein Arbeitnehmer war seit dem 18. Januar 2016 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2019 durchgängig arbeitsunfähig. Einen Urlaubshinweis hatte der Arbeitgeber in all diesen Jahren nicht erteilt. Also klagte der Mitarbeiter auf Urlaubsabgeltung für 30 Urlaubstage aus dem Jahr 2016.


Das BAG ging hier systematisch vor und stelle grundsätzlich folgendes fest:

  • Der Urlaubsanspruch verfällt nach 15 Monaten, wenn ein Arbeitnehmer durchgehend vom Jahresanfang bis zum 31. März des übernächsten Jahres arbeitsunfähig ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nachgekommen ist oder nicht. Die Urlaubsansprüche aus den Jahren 2017 bis 2019 waren damit im streitgegenständlichen Fall schon verfallen.

  • Anders liege der Fall aber, so dass BAG, wenn ein Mitarbeiter am Anfang des Urlaubsjahres vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit noch gearbeitet hat und der Arbeitgeber diesen nicht über seinen Urlaubsanspruch und den drohenden Verfall informiert hat. Dann verfällt der Urlaubsanspruch grundsätzlich nicht.



1. Hierbei gilt es laut BAG folgendes zu beachten: Es ist nicht der komplette Jahresurlaub betroffen


Vielmehr ist im obigen Fall vom Verfall nur der Urlaubsteil ausgenommen, den der Arbeitnehmende hätte einbringen können – also nur so weit der Mitarbeiter wirklich arbeitsfähig war. Im Urteilsfall ist der Mitarbeiter erst am 18. Januar 2016 erkrankt – in der Zeit vom 1. Januar bis 18. Januar 2016 fielen 10 Arbeitstage. Also hätte der Mitarbeiter auch nur 10 Tage Urlaub einbringen können – also können grundsätzlich auch nur diese 10 Tage erhalten bleiben.


2. Arbeitgeber müssen nicht am 1. Januar eines Jahres handeln, jedoch in der ersten Arbeitswoche des neuen Jahres


Das BAG hat in der Entscheidung zudem die Frist konkretisiert, innerhalb derer der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nachkommen muss. Nach dem BAG muss der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht „unverzüglich“ nach der Entstehung des Urlaubsanspruchs, d.h. in der Regel innerhalb von 6 Werktagen nachkommen (§ 121 BGB). Das heißt, der Arbeitgeber hätte im obigen Fall nicht schon am 1. Januar des Jahres, sondern in der ersten Januarwoche die Hinweise an die Arbeitnehmenden verschicken müssen. Es zählten demnach nur die Arbeitstage der 2. Januarwoche, also 5 Tage, die der Arbeitnehmer im Fall des BAG nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch abgelten musste.


Fazit und Update Hinweispflicht:

Nach dem konkretisierenden Urteil des BAG zum Urlaubsverfall vom 31. Januar 2023 ist somit hinsichtlich der Urlaubshinweise folgendes zu beachten:

Wie bereits in unserem Blog-Beitrag „Urlaub – Verfall und Verjährung von Urlaubsansprüchen“ vom 4. November 2022“ mitgeteilt, sollte der Arbeitnehmer mit einem individuellen Hinweisschreiben gleich zu Beginn des Jahres informiert werden. Dies sollte spätestens in der ersten Januarwoche erfolgen. Sie sollten daher die Urlaubshinweise an alle Mitarbeiter spätestens in der ersten Arbeitswoche im neuen Jahr versenden. Zusätzlich sollten Sie dann im Herbst, d.h. im September/Oktober des Jahres, noch einmal ein entsprechendes Hinweisschreiben hinterherschicken. Wenn dies erfolgt ist, haben Sie Ihr möglichstes zum Urlaubsverfall getan.

Zu beachten ist hierbei insgesamt, darauf sei nochmals hingewiesen, dass die Unterrichtung auf den konkreten Urlaubsanspruch des jeweiligen Arbeitnehmers unter Nennung der individuellen Urlaubstage zugeschnitten werden muss und sich u.a. auch auf nicht verfallenen Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren bezieht. Ein globaler und abstrakter Hinweis an alle Arbeitnehmer, wie z.B. „nicht genommener Urlaub verfällt zum Jahresende“, reicht nicht aus. Die Unterrichtung bedarf der Textform; es empfiehlt sich daher eine Unterrichtung per E-Mail mit Empfangsbestätigung oder per Serienbrief mit den individuellen Namen und Urlaubsdaten des Mitarbeiters und Empfangsbestätigung auszuhändigen.

Entspricht der Arbeitgeber nicht seinen Mitwirkungsobliegenheiten, führt dies dazu, dass Urlaubsansprüche nicht verfallen und nicht verjähren und sich dementsprechend immer weiter kumulieren können – jedenfalls soweit sie nicht durch Gewährung in Natur erfüllt werden.

Die Mitwirkungsobliegenheiten sollten daher ernst genommen werden, auch da es eine Grenze „nach oben“ etwa durch die Rechtsfigur der Verwirkung nicht geben dürfte.

Gerne unterstützen wir Sie bei der Anfertigung eines solchen Schreibens.


Dr. Anja Branz
Rechtsanwältin I Fachanwältin für Arbeitsrecht







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