BAG: Unwirksamkeit Ausschlussfristenklausel, Urlaubsabgeltung, Urlaubskürzung in der Elternzeit
1. § 202 Abs. 1 BGB, dem zufolge die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden kann, bezweckt einen umfassenden Schutz gegen im Voraus vereinbarte Einschränkungen von Haftungsansprüchen aus vorsätzlichen Schädigungen. Vertragliche Ausschlussfristenregelungen, die solche Ansprüche in zeitlicher Hinsicht beschränken, sind nichtig.
2. (…)
3. Die Bestimmungen in § 7 Abs. 3 BUrlG, die den gesetzlichen Anspruch auf Mindesturlaub zeitlich befristen, finden während der Elternzeit keine Anwendung. Die im BEEG enthaltenen Sonderregelungen (§ 17 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BEEG) gehen den allgemeinen Vorschriften in § 7 Abs. 3 BUrlG vor.
4. Will der Arbeitgeber sein Recht aus § 17 Abs. 1 BEEG ausüben, den Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub für Elternzeitmonate zu kürzen, obliegt es ihm, eine hierauf gerichtete rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, die dem Arbeitnehmer zugehen muss. Sowohl für die Abgabe als auch für den Zugang der Kürzungserklärung beim Arbeitnehmer trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast.
5. Sieht eine arbeitsvertragliche Quotelungsregelung vor, dass einem Arbeitnehmer im Jahr seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis für jeden Beschäftigungsmonat ein Zwölftel des Jahresurlaubs zusteht, ist diese Regelung gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG nichtig, wenn nicht gewährleistet ist, dass dem Arbeitnehmer unabhängig vom Beendigungszeitpunkt mindestens der in §§ 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 BUrlG garantierte Jahresurlaub zusteht.
(Orientierungssätze 1, 3-5 der Richterinnen und Richter des BAG)
BAG, Urt. v. 05.07.2022 – 9 AZR 341/21
Die Vereinbarung wirksamer Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen liegt im erheblichen Unternehmensinteresse zur Erlangung von Rechtsicherheit. Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen beinhalten, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist nach ihrer Fälligkeit gegenüber der anderen Partei geltend gemacht werden. Zu den einer wirksamen Ausschlussfrist unterfallenden Ansprüchen zählt nach derzeitiger Rechtsprechung des BAG auch der bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG bestehende Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch. In der betrieblichen Praxis wird dieser nicht selten von Mitarbeitenden bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach längerer Elternzeit geltend gemacht, wodurch Arbeitgeber sich sodann – sofern sie nicht rechtzeitig die Urlaubsansprüche während der Elternzeit nach § 17 Abs. 1 BEEG zeitanteilig gekürzt haben – mit erheblichen Urlaubsabgeltungsansprüchen konfrontiert sehen. Mit einem solchen äußerst praxisrelevanten Fall hatte sich jüngst das BAG zu befassen.
Die Entscheidung des BAG
Die Klägerin nahm die beklagte Arbeitgeberin auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2013 – 2017 in Anspruch. Die Klägerin befand sich vor und nach der Geburt ihrer zwei Kinder in der Zeit vom 04. April 2013 bis zum 17. August 2017 ohne Unterbrechung in den Mutterschutzfristen und in Elternzeit. Zum 31. August 2017 kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis und forderte die Beklagte mit E-Mail vom 25. Oktober 2017 erfolglos zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 und 2014 auf. Mit ihrer Klage machte die Klägerin sodann die Abgeltung von insgesamt 130 Arbeitstagen Urlaub aus den Jahren 2013 – 2017 gemäß § 7Abs. 4 BUrlG geltend. Im Arbeitsvertrag ist u.a. Folgendes geregelt:
„§ 4. Urlaub
Der Jahresurlaub beträgt 28 Arbeitstage (auf der Basis einer regelmäßigen 5-Tage-Woche). In dem Kalenderjahr, in dem das Arbeitsverhältnis beginnt oder endet, hat der Arbeitnehmer für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf 1/12 des Jahresurlaubes. […]
§ 10. Ausschlussfrist
1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. …“
Während die Vorinstanzen die Klage, soweit die Klägerin eine Urlaubsabgeltung von mehr als vierzehn Tagen verlangte, mit der Begründung abgewiesen haben, dass die weiteren Urlaubstage wegen Nichtwahrung der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist verfallen seien, hat das BAG der Klägerin Recht gegeben und ihr einen Anspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG auf Abgeltung weiterer 116 Urlaubstage in Höhe von EUR 12.313,35 brutto zugesprochen.
Zur Begründung stellte das BAG insbesondere auf die vorgenannten Orientierungssätze ab: Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei nicht verfallen, da die arbeitsvertragliche Ausschlussfristenklausel wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot, die Haftung wegen Vorsatzes im Voraus durch Rechtsgeschäft zu erleichtern, nach § 134 BGB nichtig sei (siehe Orientierungssatz 1). Die Urlaubsansprüche aus den Jahren 2013 – 2017 seien auch nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, verfallen. Insoweit finde das allgemeine Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG – Urlaubsnahme während des laufenden Jahres und in der ersten drei Monaten des Folgejahres – während der Elternzeit keine Anwendung. Die gesetzlichen Sonderregelungen während der Elternzeit in § 17 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BEEG gingen den allgemeinen Befristungsregelungen in § 7 Abs. 3 BUrlG vor. Die beklagte Arbeitgeberin habe auch nicht nachweisbar den Urlaub für die Zeiträume der Elternzeit nach § 17 Abs. 1 BEEG wirksam gekürzt (siehe Orientierungssätze 3 u. 4). Schließlich sei auch die in § 4 des Arbeitsvertrages enthaltene Quotelung des Urlaubsanspruchs in dem Jahr des Ausscheidens unwirksam (siehe Orientierungssatz 5).
fellaws Hinweis
Das BAG bestätigt mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung insbesondere zur Unwirksamkeit von vertraglichen Ausschlussfristenregelungen, die eine Haftung wegen Vorsatzes nicht ausnehmen (BAG, Urt. v. 09.03.2021 – 9 AZR 323/20), und zur Kürzung des Urlaubs in der Elternzeit (BAG, Urt. v. 19.03.2019 – 9 AZR 495/17). Insofern ist die Entscheidung des BAG nicht überraschend; sie zeigt jedoch nochmals mit aller Deutlichkeit auf, welche enorme finanzielle Bedeutung sowohl die Vereinbarung wirksamer arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen und differenzierter Urlaubsregelungen als auch die rechtzeitige Kürzung des Urlaubs in der Elternzeit für die Praxis hat.
Zur Vermeidung des Ansammelns von erheblichen Urlaubstagen während der Elternzeit sind Unternehmen daher im Regelfall gut beraten, von ihrer gesetzlichen Kürzungsbefugnis nach § 17 Abs. 1 BEEG rechtzeitig Gebrauch zu machen und den Urlaub, der dem Arbeitnehmenden für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit, um ein Zwölftel zu kürzen. Hierbei ist zeitlich darauf zu achten, dass die konkrete Kürzungserklärung gegenüber dem Arbeitnehmenden noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses – entweder vor, während oder nach dem Ende der Elternzeit, nicht jedoch vor der Erklärung des Arbeitnehmenden, Elternzeit in Anspruch zu nehmen – abgegeben wird. Unzulässig und zu spät ist der Zugang einer Kürzungserklärung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zu Nachweiszwecken sollte die konkret individualisierte Kürzungserklärung in Textform erfolgen und der Zugang durch ein Empfangsbekenntnis des Arbeitnehmenden dokumentiert werden.
Sofern noch nicht geschehen, empfiehlt es sich zudem, die arbeitsvertraglichen Bestimmungen hinsichtlich der wichtigen Ausschlussfristenregelungen insbesondere mit Blick auf Formvorgaben (Textform, nicht Schriftform), Fristen (mindestens 3 Monate) und Ausnahmen (z.B. gesetzliche Mindestentgelte, Vorsatzhaftung) sowie hinsichtlich der Urlaubsregelungen mit Blick auf die gebotene Differenzierung der Regelung des gesetzlichen Mindesturlaubs und des zusätzlichen vertraglichen Mehrurlaubs zu überprüfen und ggf. anzupassen. Selbstverständlich stehen wir Ihnen hierbei gern zur Seite.
Carsten Brachmann
Rechtsanwalt I Fachanwalt für Arbeitsrecht I Partner
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