Annahmeverzugsansprüche, Auskunftsansprüche, Kündigungsschutzverfahren

LAG Berlin-Brandenburg: Anspruch auf Annahmeverzugslohn erfordert ernsthafte Bewerbungsbemühungen

Stellt sich im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses rechtskräftig heraus, dass eine Kündigung unwirksam ist, so hat der Arbeitnehmer im Nachgang grundsätzlich Annahmeverzugslohnansprüche. Nun hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass ein solcher Anspruch unter Umständen aber nicht besteht, wenn die in der Zwischenzeit vorgenommenen Bewerbungsbemühungen unzureichend waren.

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.09.2022 – 6 Sa 280/22


Besteht nach der im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses erfolgten Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, muss sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet (Annahmeverzugslohn), gemäß § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Bislang war es bei etwaigen Abfindungsverhandlungen vor dem Arbeitsgericht nicht selten ein Argument des Arbeitnehmers für höhere Abfindungsforderungen, dass der Arbeitgeber bei der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und einem damit verbundenen Unterliegen im Rechtsstreit dazu verpflichtet wäre, die Annahmeverzugslohnansprüche für mehrere Monate zu zahlen. Da sich ein Kündigungsschutzverfahren nicht selten über mehrere Monate oder gar über Jahre ziehen kann, so z.B., wenn der Rechtsstreit erst im Rahmen der 2. Instanz (Berufungsverfahren) beendet wird, können auf diesem Wege nicht unerhebliche Annahmeverzugslohnansprüche des Arbeitnehmers entstehen.

In diesem Zusammenhang haben Arbeitnehmer oft keine besonders großen Anstrengungen unternommen, während des Kündigungsschutzprozesses eine anderweitige Erwerbsmöglichkeit zu suchen. Mit dieser Praxis dürfte nunmehr nach dem hier zu besprechenden Urteil Schluss sein. Nachdem das BAG im Mai 2020 bereits entschieden hatte, dass der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer ein Auskunftsanspruch über Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung hat (BAG, Urt. v. 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19), wurden nunmehr vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hohe Anforderungen an die Bewerbungsbemühungen des gekündigten Arbeitnehmers gestellt.


Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg

Nachdem der Kläger in zwei Kündigungsschutzverfahren erfolgreich gegen zwei Kündigungen geklagt hatte und die Arbeitgeberin die Annahmeverzugslohnansprüche im Anschluss aber nicht ohne Weiteres zahlen wollte, nahm der Kläger die beklagte Arbeitgeberin auf Annahmeverzugslohnansprüche für die Jahre 2017-2021 in Anspruch. In dem Zeitraum bezog der Kläger bis auf Arbeitslosengeld und Leistungen des Jobcenters keinerlei anderen Verdienst, welcher auf den Annahmeverzugslohn hätte angerechnet werden müssen. Von der Arbeitsagentur erhielt er für diesen Zeitraum insgesamt 23 Vermittlungsvorschläge, wobei er sich lediglich auf drei dieser Vermittlungsvorschläge beworben hatte. Außerdem behauptete der Kläger, dass er zusätzlich ab Oktober 2018 insgesamt 103 Bewerbungen versandt hatte, wobei er diesbezüglich 75 Absagen erhielt und in den anderen Fällen keine Reaktion erfolgte.

Die Arbeitgeberin war der Ansicht der Arbeitnehmer habe es böswillig i.S.d. § 11 S. 1 Nr. 2 KSchG unterlassen, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Das LAG Berlin-Brandenburg entschied nun, dass sich der grundsätzlich bestehende Anspruch auf Annahmeverzug für die Jahre 2017-2021 wegen des böswilligen Unterlassens der Annahme zumutbarer Arbeit der Höhe nach auf Null reduziere. Die Beklagte hatte Indizien angeführt, aus denen sich eine Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs ergibt.

Zur Begründung nennt das LAG verschiedene Indizien, welche für das Vorliegen einer Böswilligkeit des Unterlassens sprechen und damit den Anspruch des Kläger auf Null reduzieren. Insbesondere stellte es fest, dass die Bewerbungsbemühungen des Klägers unzureichend und nicht ernsthaft waren. Dies schlussfolgerte das LAG aus folgenden Anhaltspunkten:

  • Der Kläger hatte sich nur auf drei der 23 Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur beworben und mit den anderen benannten potenziellen Arbeitgebern kein Kontakt aufgenommen.

  • Für den Zeitraum vor dem 25.10.2018 ließ sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, in welchem Umfang er überhaupt Erwerbsbemühungen entfaltet hatte. Die Behauptung er habe Bewerbungsunterlagen vernichtet, fällt in die Risikosphäre des Klägers.
  • Auf Nachfragen von potenziellen Arbeitgebern im Nachgang von erfolgten Bewerbungen reagierte der Kläger nicht.

  • Auch auf die nicht erfolgten Reaktionen durch potenzielle Arbeitgeber im Nachgang von erfolgten Bewerbungen zeigte der Kläger keinerlei Reaktion und machte keine Sachstandsanfrage, was ein an einer Beschäftigung interessierte Bewerber aber machen würde.

  • Der Kläger habe zu wenige Bewerbungsbemühungen entfaltet (103 Bewerbungen in 29 Monaten). Da der Kläger ohne Arbeit war, hätte er im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen entfalten müssen.

  • Die Qualität der Bewerbungen war nicht ausreichend. So hatte der Kläger im Rahmen der erfolgten Bewerbungen weder ein Stellenkennzeichen, eine schlagwortartige Bezeichnung der Stelle oder einen sonstigen Betreff angegeben.


fellaws Hinweis

Das LAG setzt mit diesem Urteil neue Maßstäbe im Hinblick auf die Erwerbsbemühungen des Arbeitnehmers während eines schwebenden Kündigungsschutzverfahrens. Gleichzeitig führt es u.a. dazu, dass Arbeitgeber nunmehr im Rahmen von Vergleichsverhandlungen bzgl. einer etwaigen Abfindungszahlung bessere Karten haben. Zu beachten ist jedoch, dass nicht immer derart viele Indizien vorliegen, welche für ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs sprechen und die Entscheidung somit als Einzelfallentscheidung betrachtet werden muss. Auch ist noch nicht abzusehen, ob Landesarbeitsgerichte anderer Bundesländer in einem solchen Fall ähnlich entschieden hätten und/oder die vorliegenden Indizien gegebenenfalls als nicht ausreichend für eine mögliche Böswilligkeit erachtet hätten.

Trotz alledem ist das Urteil aus Arbeitgebersicht sehr erfreulich. Arbeitgebern ist zu raten, in Zukunft den entsprechenden Auskunftsanspruch über Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit geltend zu machen, wenn es um die Zahlung eines etwaigen Annahmeverzugslohnanspruchs geht und gleichzeitig auch Auskunft über die anderweitigen eigenen Bewerbungsbemühungen zu verlangen. Hinsichtlich letzterem Punkt ist anzumerken, dass das LAG Berlin-Brandenburg es ausdrücklich offengelassen hat, ob der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers auch anderweitige eigene Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers erfasst, da der Kläger dies im Verfahren bereits von sich aus offengelegt hatte. Bis zu einer endgültigen höchstrichterlichen Klärung dieses Punktes sollte vorsorglich auch der Auskunftsanspruch auf anderweitige eigene Erwerbsbemühungen gegenüber dem Arbeitnehmer geltend gemacht werden.

Darüber hinaus empfiehlt es sich, dass dem Arbeitnehmer bereits während des schwebenden Kündigungsschutzverfahrens passende Stellenangebote anderer Arbeitgeber zugeleitet werden und der Arbeitnehmer aufgefordert wird, sich auf diese Stellen zu bewerben. Es ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer später im Rahmen eines Prozesses verpflichtet ist, sich einzulassen, wie er im Anschluss mit den zugeleiteten Stellenangeboten des Arbeitgebers umgegangen ist, ob und mit welchem Ergebnis er sich beworben hat, bzw. aus welchen Gründen er sich unter Umständen ggf. nicht beworben hat.


Linus Grund
Rechtsanwalt







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