Update Arbeitszeiterfassung

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, Entscheidungsgründe des BAG liegen vor!

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte mit seinem vielbeachteten Beschluss vom 13. September 2022 (AZ: 1 ABR 22/21), über den wir in unserem Blogbeitrag vom 23. September 2022 berichteten, entschieden, dass Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems gesetzlich verpflichtet sind. Am 3. Dezember 2022 hat das BAG nun die Entscheidungsgründe veröffentlicht, welche weitere Klarheit über einige Fragen zur Arbeitszeiterfassung bringen.

Die wichtigsten Punkte aus dem Beschluss des BAG und worauf Unternehmen derzeit zu achten haben, werden im Folgenden kurz zusammengefasst.


Die wichtigsten Punkte der Entscheidung des BAG

Arbeitgeber sind zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems und dessen tatsächlicher Verwendung verpflichtet

Es gibt keine Übergangsfrist zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems; die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt weiterhin „ab sofort“.

Es müssen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit erfasst werden. Eine bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems durch den Arbeitgeber zur freiwilligen Nutzung der Mitarbeitenden und eine bloße Dokumentation der täglichen Dauer wie etwa 8 Stunden Arbeitszeit und 45 Minuten Pause oder nur der über 8 Stunden hinausgehenden täglichen Arbeitszeit reichen nicht aus.

Die Arbeitszeiterfassung muss nicht durch die Arbeitgeber selbst erfolgen. Die Aufgabe kann auch auf die Mitarbeitenden übertragen werden. Der Arbeitgeber muss regelmäßig die Umsetzung der Arbeitszeitdokumentation kontrollieren.

Es besteht keine Pflicht zur elektronischen Erfassung der Arbeitszeit. Auch eine manuelle, handschriftliche Erfassung z.B. in Papierform oder in einer Excel-Tabelle ist (derzeit) möglich. Arbeitgeber haben hier also zunächst – solange der Gesetzgeber dies künftig nicht einschränkt – Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bezieht sich unstreitig auf alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer*innen im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG, d.h. auf sämtliche Arbeitnehmenden einschließlich Auszubildende. Ob darüber hinaus auch die Arbeitszeit von echten leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG zu erfassen ist oder nicht, wurde vom BAG leider nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit geklärt. So spricht einerseits die auch für leitende Angestellte geltende arbeitsschutzrechtliche Regelung des § 3 ArbSchG, auf welche das BAG die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung stützt, für deren Arbeitszeiterfassung; andererseits sprechen die Regelungen des Art. 17 der Richtlinie 2003/88/EG und des § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG, nach welchem das ArbZG auf leitende Angestellte explizit keine Anwendung findet, dafür, dass leitende Angestellte von der Arbeitszeiterfassungspflicht ausgenommen sind. Es bleibt zu hoffen, dass hier zeitnah eine abschließende Klarstellung im Sinne einer Nichtgeltung der Arbeitszeiterfassung für echte leitende Angestellte i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG durch den Gesetzgeber erfolgt.

Vertrauensarbeitszeit im Sinne eines selbstbestimmten Arbeitens mit freier Zeiteinteilung ist weiterhin möglich, vorausgesetzt die tägliche Arbeitszeit wird zudem erfasst. Die „reine“ Vertrauensarbeitszeit, bei welcher die Arbeitszeit weder erfasst noch kontrolliert wurde, ist hingegen unzulässig.

Den Betriebsräten stehen – vorbehaltlich etwaiger künftiger Regelungen durch den Gesetzgeber – für die Ausgestaltung des im Betrieb zu verwendenden Systems zur Erfassung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit insbesondere gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG Mitbestimmungsrechte zu. Anknüpfungspunkt für die Mitbestimmung des Betriebsrats bietet hier der für den Arbeitgeber bestehende Spielraum bei der Umsetzung seiner gesetzlichen Pflicht. Die Mitbestimmungsrechte können die Betriebsräte daher nicht auf die Zeiterfassung in elektronischer Form beschränken. Insoweit obliegt die Entscheidung über die Art der Arbeitszeiterfassung den Arbeitgebern. 


Was sollten Arbeitgeber nun beachten?

Das BAG hat den Arbeitgebern keine Übergangsfrist eingeräumt. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt somit für alle Arbeitgeber „ab sofort“. Spätestens jetzt, nachdem die Entscheidungsgründe des BAG veröffentlicht wurden, sollten Arbeitgeber also handeln. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass aktuell das Bundesministerium für Arbeit und Soziales angekündigt hat, voraussichtlich bereits im ersten Quartal 2023 einen Gesetzesvorschlag für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz machen zu wollen, in welchem hoffentlich weitere konkrete Vorgaben hinsichtlich der genauen Ausgestaltung der Zeiterfassung (z.B. zum konkreten Inhalt der Arbeitszeitdokumentation, zu Pausenzeiten, Form-, Aufbewahrungsvorschriften) enthalten sein werden.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich momentan, einerseits die Gesetzgebung genauestens im Blick zu behalten und andererseits aktuell zumindest „nur“ solche Übergangsmaßnahmen zur Arbeitszeiterfassung zu treffen, die die Vorgaben des BAG zur täglichen Arbeitszeiterfassung zwar erfüllen, sich später jedoch wieder ohne größeren Zeit- und Kostenaufwand an die ggf. künftigen gesetzlichen Spezifizierungen der Arbeitszeiterfassung anpassen lassen.

  • Unternehmen mit bereits bestehenden Arbeitszeiterfassungssystemen sollten insofern prüfen, ob diese den Anforderungen des BAG-Beschlusses entsprechen oder, ob ggf. insbesondere Anpassungen zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit (z.B. bei Vertrauensarbeitszeit, mobilem Arbeiten) vorgenommen werden müssen. Auch sollten Arbeitgeber, soweit noch nicht geschehen, ggf. ihre Mitarbeitenden zur Arbeitszeiterfassung anweisen.

  • Unternehmen ohne Arbeitszeiterfassungssystem ist anzuraten,unverzüglich zumindest ein vorübergehendes manuelles System zur Arbeitszeiterfassung einzurichten und die Mitarbeitenden anzuweisen, ihre tägliche Arbeitszeit zu erfassen.

  • Unternehmen mit Betriebsrat haben zudem bei der Ausgestaltung bzw. Anpassung der Arbeitszeiterfassung die Mitbestimmungsrechte zu wahren, wobei je nach Art der Arbeitszeiterfassung eine Beteiligung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3, 6, 7 BetrVG in Betracht kommt.

  • Im Zusammenhang mit der Gestaltung bzw. Überprüfung eines Arbeitszeiterfassungssystems empfiehlt es sich dringend, vor allem auch den vergütungsrechtlichen Aspekt der Arbeitszeit im Blick zu haben. Ob die Arbeitszeiterfassung auch auf die Vergütung der Mitarbeitenden Einfluss hat (z.B. Überstunden, Mehrarbeit, Reisezeiten) hängt maßgeblich von den jeweiligen arbeitsvertraglichen und/oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarungen) ab. Es ist anzuraten, diese ebenfalls zu überprüfen und ggf. anzupassen. Besonders Augenmerk sollte hier vor allem auf das Entstehen, die Abgeltung und Dokumentation von Überstunden und deren Abgrenzung zu sog. Plusstunden bei flexiblen Arbeitszeitmodellen, Vertrauensarbeitszeiten gelegt werden.


Gern stehen wir Ihnen bei einer praktikablen Umsetzung der Arbeitszeiterfassung beratend zur Seite.


Carsten Brachmann
Rechtsanwalt I Fachanwalt für Arbeitsrecht I Partner

Alina Jung
Rechtsanwältin







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