Kein Urlaubsverzicht durch Prozessvergleich im bestehenden Arbeitsverhältnis

Bundesarbeitsgericht: Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer selbst durch gerichtlichen Vergleich nicht auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten

BAG, Urteil v. 03.06.2025 – 9 ABR 20/21

Im laufenden Arbeitsverhältnis ist der Urlaub in natura zu nehmen und zu gewähren. Eine Urlaubsabgeltung in Geld ist nicht möglich. Urlaubsabgeltung in Geld kann der Arbeitnehmende ausnahmsweise dann verlangen, wenn er den Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht nehmen kann (vgl. § 7 Abs. 4 BUrlG). Seit 2012 geht das BAG davon aus, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch ein reiner Geldanspruch ist. Dieser entsteht erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird auch erst dann fällig. Arbeitnehmende können über diese Urlaubsabgeltung im Vergleich verfügen. Voraussetzung: Die Vereinbarung muss nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Im laufenden Arbeitsverhältnis ist dies jedoch abweichend zu beurteilen (siehe dazu auch unseren Grundsatzbeitrag, fellaws focus Urlaub spezial vom 31. August 2023). 

Das BAG hat aktuell entschieden, dass ein Arbeitnehmer selbst im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs nicht wirksam auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten kann, solange das Arbeitsverhältnis noch besteht. Auch den in der Praxis beliebten Vorgehen in gerichtlichen Vergleichen über (vermeintliche) sog. „Tatsachenvergleiche“ („in natura gewährt“) zu versuchen, Urlaubsansprüche auszuschließen, hat das BAG in seiner aktuellen Entscheidung einen deutlichen Riegel vorgeschoben, wenn der Vergleich noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses geschlossen wird. In dieser Konstellation ist daher künftig verstärkt Vorsicht geboten.

Die Entscheidung des BAG

Die Beteiligten stritten über die Abgeltung von sieben Urlaubstagen aus dem Jahr 2023. Der Kläger war vom 1. Januar 2019 bis zum 30. April 2023 bei der Beklagten angestellt. Im Jahr 2023 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und konnte seinen Urlaub nicht antreten. Im März 2023 einigten sich die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2023 gegen Zahlung einer Abfindung. In Ziffer 7 des Vergleichs wurde festgehalten: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“ Bereits im Vorfeld hatte der Kläger darauf hingewiesen, dass ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub rechtlich unzulässig sei. Dennoch stimmte der Kläger – unter Verweis auf seine Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit des Vergleichs – im Zuge einer Gesamteinigung dem Vergleich zu. Der Kläger konnte auch im April 2023 krankheitsbedingt seinen Urlaub nicht nehmen. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses forderte er die finanzielle Abgeltung der verbleibenden 7 Urlaubstage in Höhe von 1.615,11 Euro zuzüglich Zinsen. 

Das BAG gab dem Kläger recht. Der Kläger habe gem. § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung seines nicht erfüllten gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023. Der Urlaubsanspruch sei nicht durch Ziffer 7 des Prozessvergleichs vom 31.3.2023 erloschen. Die Vereinbarung „Urlaubsansprüche seien in natura gewährt“, sei gem. § 134 BGB unwirksam, soweit sie einen nach § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs regele. Weder der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub noch ein erst künftig (s.o.) – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehender Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs dürfe im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden, so das BAG. 

Die Klausel in Ziffer 7 des gerichtlichen Vergleichs stelle auch keinen wirksamen so genannten „Tatsachenvergleich“ dar, bei dem § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nicht anzuwenden wäre. Dafür sei es, so das BAG, erforderlich, dass unterschiedliche Auffassungen über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden könnten. Eine solche Unsicherheit habe hier aber nicht bestanden. Der Kläger war bereits seit Anfang 2023 durchgehend arbeitsunfähig. Dies stand zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses fest, so dass – bei dieser völlig unstreitigen Forderung – keine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs bestanden haben könne. 

fellaws Anmerkung

Die Entscheidung des BAG ist zwar keine Überraschung, hat aber große praktische Bedeutung für gerichtliche Vergleiche:

Es ist (siehe fellaws Urlaub spezial) anerkannt, dass im laufenden Arbeitsverhältnis weder der gesetzliche Mindesturlaub noch ein erst später entstehender Anspruch auf Abgeltung dieses gesetzlichen Mindesturlaubs ausgeschlossen werden kann.

Das BAG hat mit der aktuellen Entscheidung unmissverständlich deutlich gemacht, dass dies auch für gerichtliche Vergleich gilt und eine völlig unstreitige Forderung nicht Gegenstand eines wirksamen Tatsachenvergleichs sein kann, der hinter der vollständigen Erfüllung zurückbleibt.

Ist der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub, insbesondere in Fällen der Arbeitsunfähigkeit, unstreitig, sollte daher im noch laufenden Arbeitsverhältnis von dem Urlaubsverzicht durch „Tatsachenvergleich“ („in natura gewährt“) in einem gerichtlichen Vergleich Abstand genommen und stattdessen ggf. an anderen „Stellschrauben“ gedreht werden: So könnte z.B. die (sozialversicherungsfreie) Abfindung reduziert und der Betrag der (sozialversicherungspflichtigen) Urlaubsabgeltung als solcher im Vergleich deutlich ausgewiesen werden.

Anders würde der Fall liegen, wenn der Vergleich erst nach bereits erfolgter Beendigung des Arbeitsverhältnisses, d.h. hier nach dem 30.04.2023, geschlossen worden wäre: Denn dann wäre mit Beendigung bereits der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch entstanden und auf den in dem Prozessvergleich hätte verzichtet werden können. Die Zeitpunkte des Vergleichsschlusses sind daher sorgfältig zu beachten.

Dr. Anja Branz, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Bildquelle: Strandschirm und rote Strandstühle an einem Ufer, wirestock von freepik

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